Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 22.12.2010 (Az.: 3 StR 239/10) im Rahmen seiner revisionsrichterlichen Überprüfung ein Urteil des Landgerichts Mönchengladbach aufgehoben, in welchem ein Arzt wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt worden war. In diesem Urteil hat der Bundesgerichtshof grundsätzliche Ausführungen zur erforderlichen Patientenaufklärung durch einen Chirurgen über dessen Absicht bei einer Folgebehandlung, die wegen der Verwirklichung eines der Erstoperation typischerweise anhaftenden Risikos notwendig werden könnte, auch eine Außenseitermethode anzuwenden, getroffen.
Nach den Feststellungen der Strafkammer des Landgerichts Mönchengladbach unterzog sich eine 80-jährige Patientin am 13.03.2006 einer Operation, bei welcher ein Teil des Dickdarms entfernt wurde. Da sich in der Folgezeit die Operationswunde erheblich entzündete und sich der Zustand der Patientin trotz der ab dem 18.03.2006 vorgenommenen Gabe von Antibiotika erheblich verschlechterte, entschloss sich der später angeklagte Arzt am 20.03.2006 zur Durchführung einer Reoperation, der die zu diesem Zeitpunkt kaum mehr ansprechbare Patientin durch Nicken zustimmte. Am Ende dieser Operation legte der Angeklagte in die Wunde einen mit Zitronensaft getränkten Streifen ein und vernähte die Wunde darüber. Der Arzt war aufgrund persönlicher und beruflicher Erfahrung der Überzeugung, Zitronensaft sei ein geeignetes Mittel zur Behandlung schwerwiegender Wundheilungsstörungen. Da er von einer keimtötenden Wirkung des Zitronensaftes ausging, hielt er die Einhaltung von sterilen Bedingungen bei dessen Gewinnung nicht für erforderlich. Darüber, dass im Fall des Auftretens von Wundheilungsstörungen an der Operationswunde – der Praxis des Arztes entsprechend – (auch) unsteril gewonnener Zitronensaft in die Wunde eingebracht werden würde, war die Patientin jedoch zu keinem Zeitpunkt aufgeklärt worden.
Am 30.03.2006 verstarb die Patientin an septischem Herz-Kreislauf-Versagen. Fachliche Fehler bei der Durchführung der Operationen am 13. und 20.03.2006 ergaben sich nicht. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass das Einbringen von Zitronensaft in die Operationswunde diese zusätzlich bakteriell kontaminiert hatte oder für den Tod der Patientin ursächlich war. Todesursächlich war vielmehr die typischerweise bei großen Bauchoperationen auftretende Entzündung der bei dem ersten Eingriff entstandenen Operationswunde.
Das Landgericht vertrat in seinem mit der Revision angegriffenen Urteil die Auffassung, dass die am Abend vor der ersten Operation am 13.03.2006 erteilte Einwilligung auf Grund eines Aufklärungsfehlers als unwirksam angesehen werden müsse. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch unklar gewesen sei, ob es zu Wundheilungsstörungen und in Folge dessen zu einem Ein-satz von Zitronensaft komme, hätte die Patientin bereits vor der ersten OP darüber aufgeklärt werden müssen, dass ein Einsatz von Zitronensaft ggf. bei entsprechenden Wundheilungsstörungen in Betracht komme. Eine Aufklärung sei deshalb erforderlich gewesen, weil diese Methode derart ungewöhnlich sei, dass allein der Umstand ihres Einsatzes durch den Arzt dazu geeignet war, dass Vertrauen der Patientin in eine Sachgerechte Behandlung durch diesen zu erschüttern.
Der Bundesgerichtshof hob im Revisionsverfahren das Urteil des Landgerichts Mönchenglad-bach auf, weil gegen die Annahme der pflichtwidrigen Unterlassung der Aufklärung über den Einsatz von Zitronensaft im Falle einer Wundheilungsstörung durch das Landgericht rechtli-che Bedenken bestünden.
Der Bundesgerichtshof führte hierzu aus, dass die Wirksamkeit der Einwilligung eine Aufklä-rung über den Verlauf des Eingriffs, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behand-lungsalternativen mit wesentlich anderen Belastungen voraussetze. Inhaltlich sei der Patient über die Chancen und Risiken der Behandlung im „Großen und Ganzen“ aufzuklären, ihm müsse ein zutreffender Eindruck von der Schwere des Eingriffs und von der Art der Belastungen vermittelt werden, die für seine körperliche Integrität und für seine Lebensfüh-rung auf ihn zukommen können. Je weniger ein sofortiger Eingriff medizinisch geboten sei, um so ausführlicher und eindrücklicher sei der Patient, dem der Eingriff angeraten werde oder der ihn selbst wünsche, über die Erfolgsaussichten und etwaigen schädlichen Folgen zu informieren. Zum Kern der Patientenaufklärung über einen operativen Eingriff zähle insbesondere die Erläuterung des sicher oder regelmäßig eintretenden postoperativen Zustands. So könne etwa der Hinweis auf ein gegenüber dem Normalfall erhöhtes Wundinfektionsrisiko geboten sein. Ausnahmsweise sei auch über schwerwiegende Risiken einer Folgebehandlung zu informieren die trotz kunstgerechter Operation nötig werden könne, weil sich eine mit dieser verbundene Komplikationsgefahr verwirkliche. Diese folge daraus, dass der Patient über alle schwerwiegenden Risiken, die mit einer Operation verbunden seien, auch dann aufzuklären sei, wenn sie sich nur selten verwirkliche. Für die ärztliche Hinweispflicht komme es entscheidend nicht nur auf einen bestimmten Grad der Komplikationsdichte, sondern maßgeblich auch darauf an, ob das in Frage stehende Risiko dem Eingriff spezifisch anhafte und bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belaste. In solchen Fällen bestehe zwischen einer ersten Operation und möglicherweise notwendig werdender Folgebehandlungen ein enger Zusammenhang, der die Aufklärung über die Risiken der späteren Therapie schon vor dem ersten Eingriff erfordere.
Der Bundesgerichtshof führt weiter aus, dass der Arzt seiner Pflicht, neben der Aufklärung über die Operation selbst auch über den diesem Eingriff typischerweise anhaftenden Risiken einer Wundheilstörung aufzuklären, nachgekommen sei.
Aber auch der im Krankenhaus des angeklagten Arztes übliche Einsatz von mit einer Haushaltspresse gewonnen Zitronesaftes zur Behandlung einer Wundheilstörung sei, was dem Angeklagten Arzt auch bewusst gewesen sei, aufklärungspflichtig. Diese Behandlung stelle eine nicht dem medizinischen Standart entsprechende Außenseitermethode dar, deren Wirkungen und allgemeine Verträglichkeit bislang wissenschaftlich nicht untersucht worden sei, so dass unbekannte Risiken nicht hätten ausgeschlossen werden können. Diese Aufklä-rung habe der Angeklagte Arzt zwar nicht vorgenommen, jedoch führe dieser Mangel nicht dazu, dass die Einwilligung der Patientin in die Durchführung der ersten (todesursächlichen) Darmoperation unwirksam gewesen sei und sich der Angeklagte mit diesem Eingriff daher einer rechtswidrigen gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht habe, da der angeklagte Arzt über die Anwendung dieser Außenseitermethode nicht schon vor der ersten Operation, sondern erst vor dem zweiten operativen Eingriff (Reoperation) habe aufklären müssen. Zwischen der Darmoperation und den Risiken der ggf. notwendig werden Folgebehandlung einer BGH trifft Grundsatzentscheidung zum Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht beim Einsatz von Wundhandlungsstörung habe kein derart erhöhter Gefahrenzusammenhang bestanden der den Arzt verpflichtet hätte, die Patientin ausnahmsweise schon vor dem Ersteingriff über Art und Risiken einer etwa erforderlichen Nachbehandlung zu informieren.
Die ebenfalls erforderliche Aufklärung über den Einsatz von Zitronensaft vor der Reoperation erfüllt laut Bundesgerichtshof deshalb nicht den Tatbestand einer Körperverletzung mit Todesfolge, da nicht nachgewiesen werden konnte, dass sich die Verwendung des Zitronensaftes nachteilig auf den weiteren Verlauf der Infektion ausgewirkt habe und zum Versterben der Patientin beigetragen habe.
RA Daniel Amelung