In dem Ermittlungsverfahren gegen einen Göttinger Transplantationsmediziner, der Krankenunterlagen manipuliert haben soll, um bevorzugte Patienten mit Spenderorganen versorgen zu können, erhebt die Staatsanwaltschaft nunmehr den Vorwurf des versuchten Totschlags, da seitens des Arztes billigend in Kauf genommen worden sei, dass andere Patienten mit einem lebensbedrohlicheren Krankheitsbild infolge des Fehlens von Spenderorgane in Lebensgefahr geraten seien.

Dem Wortlaut nach erlaubt § 112 Abs. 3 StPO in Fällen des dringenden Totschlagsverdachts zwar die Anordnung von Untersuchungshaft, auch wenn die klassischen Haftgründe der Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr nicht vorliegen, verstößt in dieser rigiden Auslegung aber – wie das BVerfG bereits 1966 festgestellt hatte – gegen den verfassungsrechtlich garantierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG). Vielmehr muss auch bei Anordnung der Untersuchungshaft im Fall der Schwerkriminalität die Verfahrenssicherung aus mit den klassischen Haftgründen vergleichbaren Umständen nicht auf andere Weise erfolgen können.

Wie der Medienberichterstattung zu entnehmen ist, soll der Tatvorwurf nur deshalb auf versuchten Totschlag lauten, weil sich nicht nachvollziehen lasse, welche Patienten infolge nicht rechtzeitiger Organtransplantation verstorben seien. Diese Rechtsauffassung lässt sich jedoch nur dann aufrecht erhalten, wenn man davon ausgeht, dass jeder Patient, der berechtigterweise auf der Transplantationsliste verzeichnet ist, in (akuter) Lebensgefahr schwebt, der Transplantationsmediziner dies gewusst hat und gleichwohl unter Billigung des Eintritts des Todeserfolgs, diesen Patienten das jeweilige Spenderorgan jeweils „rechtswidrig“ entzogen hat. Soweit es sich um Nierentransplantationen handelt, die im Ranking vorgerückt sind, nur weil wahrheitswidrig die Durchführung von Dialysebehandlungen behauptet wurde, wird dieser Umstand allein ohne Hinzutreten weiterer Umstände die konkrete Lebensgefahr der benachteiligten Patienten nicht zu begründen vermögen, da allein die Verlängerung einer Dialysebehandlung lediglich den Vorwurf der Körperverletzung rechtfertigen dürfte.

Waren die Unterlagen der bevorzugten Patienten zwar manipuliert, bestand aber auch bei diesen Lebensgefahr, hat der Mediziner jedenfalls im Zusammenhang mit einem Tötungsdelikt nicht rechtswidrig gehandelt, weil zwischen menschlichem Leben nicht nach Wertigkeit unterschieden werden kann.

RA Dr. Peter Kotz