Das Landgericht Stuttgart hat am 10.02.2011 den Vater des Realschülers, der im März 2009 mit einer Pistole seines Vaters im Zusammenhang mit einem Amoklauf an seiner ehemaligen Realschule im baden-württembergischen Winnenden (Rems-Murr-Kreis) 15 Menschen erschoss, u.a. wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und wegen fahrlässiger Tötung in 15 Fällen verurteilt.

Zum Verhängnis wurde dem Mann, der als Sportschütze Pistole und dazugehörige Munition nach dem Waffenrecht besitzen durfte, dass er beides nicht – wie vorgeschrieben – verschlossen gehalten hatte, sondern Waffe und Munition in seinem Nachtkästchen verwahrte, wo sie sein Sohn fand, mitnahm und sie bei seinem Amoklauf benützte.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; der Vater kann dagegen Revision zum Bundesgerichtshof einlegen, was sein Verteidiger bereits angekündigt hat.

Anmerkung von Amelung & Trepl Rechtsanwälte:

Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (§ 222 StGB).

„Durch Fahrlässigkeit“ bedeutet „unabsichtlich“. Der dem Vater angelastete Zusammenhang mit dem Tod der 15 Menschen ergibt sich daraus, dass er seine Pflichten als Waffenbesitzer – Waffen und Munition verschlossen und vor dem Zugriff eines Dritten sicher zu halten – verletzt hat. Daneben ist das Gericht davon ausgegangen, der Vater habe es vorhersehen können, dass ein Anderer (speziell sein Sohn) Waffe und Munition an sich nimmt und damit Unheil anrichtet, da ihm – so das Gericht in der mündlichen Urteilsbegründung – die Tötungsphantasien seines Sohnes bekannt waren.

Ist der Vater „gut weggekommen“? Hätte er nicht zur Freiheitsstrafe von 75 Jahren verurteilt werden müssen?

Zweimal nein. Erstens beträgt die mögliche gesetzliche Höchststrafe fünf Jahre, wenn – wie hier – durch eine einzige Pflichtverletzung (Tathandlung) mehre Menschen getötet werden. Die Juristen sprechen insoweit von einer gleichartigen Tateinheit. Das zweite Mal „nein“, weil das Strafgesetzbuch zwar harte Strafen vorsieht, in besonderen Fällen aber nicht „unmenschlich“ sein will. Von einem solchen Sonderfall hätte das Gericht nach dem Gesetz ausgehen können. Wenn nämlich die Folgen einer Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre, kann das Gericht von Strafe absehen (§ 60 S. 1 StGB): Auch der Vater hat als Folge der Tat den Verlust eines Kindes (es wurde letztlich bei einem Schusswechsel mit der Polizei getötet) zu beklagen. Schon kurz nach dem Amoklauf musste er seinen Wohnsitz aufgeben, weil er die Nähe zu den anderen betroffenen Familien nicht mehr ertragen konnte. In der Hauptverhandlung selbst fehlte er an mehreren Tagen, da er das Verfahren gesundheitlich kaum durchstehen konnte. Sollte es für das Gericht ausschlaggebend gewesen sein – wofür bestimmte Ausführungen in der mündlichen Urteilsbegründung sprechen –, dass er während des gesamten Verfahrens geschwiegen und nur in seinem letzten Wort sein Bedauern über die Tatfolgen zum Ausdruck gebracht hatte, hätte das Gericht in unzulässiger Weise ein Grundprinzip unseres Strafverfahrens verletzt, nämlich dass es das – weder positiv noch negativ – zu bewertende Recht eines Angeklagten ist, vor Gericht zu schweigen.

RA Dr. Peter Kotz